Kurzgeschichte

Wahlkampf für Anfänger

15.08.2017 - Dr. Burkhard Luber

Wenn dein smartphone dich morgens weckt, überlege, zu welcher Wahlveranstaltung du heute abend gehen willst. Mach dir eine Checkliste zu allen Parteiprogrammen mit Bewertungen der einzelnen Punkte auf einer Skala: - Cool, - Interessiert mich nicht, - Das kauf ich mir lieber bei MediaMarkt, - Fuck off, - Die spinnen ja die Römer.

Nimm diese Checkliste nicht zur Wahlveranstaltung mit wegen body search. Ruf deine Freundin an, dass sie mitkommen soll. Versprich ihr einen Falafel-Shawarma beim besten Araber der Stadt, wenn sie wählt, was du wählst. Droh ihr, mit ihr Schluss zu machen, wenn sie nicht wählt, was du wählst. Nimm betörendes Parfüm, Marke “Alle vier Jahre”.

Schick all deinen 734 FreundInnen auf whatsapp ne message, dass jede/r von ihnen 5000 smilies an die SPD schicken sollen, um deren server lahm zu legen. Wenn das erledigt ist, macht dasselbe für die CDU.

Überleg nach dem Aufstehen, was du heute abend anziehen sollst: Grünes, rotes, gelbes, schwarzes oder blaues Hemd. Geh nicht im Schlabberlook, Wahlkampf ist was total Ernstes. Pass auf dich auf. Lern die coolsten Passagen in den Wahlkampfbroschüren auswendig. Vorsicht: Verwechsle nicht FDP mit AFD oder SPD mit CDU. Das kommt nicht gut an.

Geh zum örtlichen Makler, tarne dich als Journalist und sag, dass du über die Immobilienspekulationen des örtlichen Kandidaten schreiben willst. Wenn er nichts rausrücken will, droh ihm, dass du auch ohne seine Informationen irgendetwas schreiben wirst und er sei dann an allem schuld.

Bei der Wahlkampf-Veranstaltung am Abend an der Einlasskontrolle zum Saal: Gib demonstrativ das alte iphone an der Garderobe ab, aber behalte das neue samsung S7 edge heimlich in der Hosentasche. Geh im Saal sofort auf den Kandidaten zu, sprich ihn mit Vornamen an und klopf ihm mehrmals demonstrativ auf die Schulter (nicht umarmen, kommt nicht gut an). Sag ihm, dass du extra wegen ihm heute Abend ein ticket fürs Konzert mit Cro verfallen lässt. Zieh ihn dann unauffällig in eine Ecke und frag ihn diskret, ob er dir trotz Abi-Durchschnitt 4,3 einen Studienplatz für Medizin an der MHH in Hannover verschaffen kann, wenn du ihn wählst. Lass dich nicht verwirren (Politiker sind so):  Wenn er ja sagt, meint er nein. Wenn er nein sagt, denkt er darüber nach.

Versuch danach diskret seine Tochter anzumachen. Ich sage: diskret! (Wahlkampf ist kein Model Rating bei Heidi Klum). Teste sie, ob sie das Wahlprogramm ihres Vaters gelesen hat. Geh voll aufs Risiko: Stell ihr die Fangfrage, ob die Erhöhung des Rentendynamikakzelerationsfaktors um 0.37 Punkte bei seiner Partei ernst gemeint sei. Wenn sie dich verständnislos anstarrt, hast du gewonnen, dann kannst du bei ihr mit deinem Wahlkampfwissen Punkte machen. Wenn sie kritisch reagiert, dass sie den Faktor lieber auf 0.38 gehabt hätte, pass auf - sie weiß Bescheid - und wechsle schnell das Thema. Misch dich danach zwanglos unter die Anwesenden. Erzähle allen, besonders denjenigen, deren Gesicht du nicht magst, dass Wahlen doch nichts ändern, sonst wären sie ja längst verboten. Wenn dir danach jemand krumm kommt, lüge, dass du im Gemeinschaftskunde-Unterricht immer ne Eins gehabt hast. Sobald dir die Wahlkampf-Veranstaltung nicht mehr gefällt, spring auf die Bühne und schreie laut: “Keine Macht für niemand!” Wenn dich die Saalwächter nach draußen abschleppen, droh ihnen, dass du das alles auf facebook veröffentlichen wirst. Achtung: Diesen Gag kannst du bei jeder Partei nur einmal machen, also sei sparsam mit seinem Einsatz.

Klingele bei allen Mitbewohnern in deinem Hochhaus und verwickele sie in Wahldiskussionen. Benutze den Verlauf der Gespräche als Material für deine Statistik-Hausarbeit. Bilde aussagekräftige Kategorien:


A.
    Hat meine Frage überhaupt nicht verstanden

B.
    Lädt mich zum Abendessen ein (lecker)

C.
   Knallt die Tür vor mir zu

D.
   Kind: “Meine Mama ist nicht zu Hause” (lügt, ich seh wie sie hinten im Wohnzimmer “Bild der Frau” liest)

E.
    Hau ab, wir kaufen nichts

F.
    Wählen? Was ist das?

G.
   In der DDR war alles viel besser!

H.
   Sie sehen ja aus wie der Christian Lindner

I.
      Die Merkel könnte sich auch mal chicer anziehen


Bilde eine Vielfelder-Matrix mit Überkreuzkorrelationen der Antworten zu den sechs Parteien. Zieh keine voreiligen politischen Schlußfolgerungen. Überlass das dem Professor. Schließlich willst du doch die Klausur bestehen und den Übungs-Schein abgreifen. Also: Safety first.

Montiere am Abend online allen Bildern der Spitzenkandidaten wahlweise einen Fahrradhelm, eine Karnevalskappe, einen Zylinder oder eine Torwartmütze auf den Kopf. Prüfe dich kritisch, ob die unterschiedlichen Kopfbedeckungen deine Parteienpräferenz ändern. Wenn ja, schick über Amazon jeweils so einen Hut an die Kandidaten und bezahle mit der Kreditkarte deines Vaters.

Lies so viel Wahlkampfbroschüren, dass du hinterher nicht mehr weißt, was du wählen sollst. Guck dir intensiv die Wahlplakate an. Zerschneide jedes Plakat in zwei Hälften, vermische die beiden Plakathälften und klebe sie dann neu zusammen, also: AFD: Ehe für alle! CDU: Bundeswehr raus aus Afghanistan! SPD: Keine Ausländer mehr, das Boot ist voll! FDP: Christian - Sie kennen mich! Grüne: Mehr Steaks in unseren Kantinen! Linke: Rüstungsexporte - gut für unsere Wirtschaft! Häng die neu gestylten Plakate wieder auf und lass dann deinen Wahl-O-Mat berechnen, welches neues Ergebnis rauskommt, nachdem du so den Wahlkampf aufgemischt hast.

Schreib all deinen Wahl-Frust in einen Leserbrief an die Lokalzeitung. Beginne deinen Text mit: “Sehr geehrter Herr Chefredakteur (w/m), mir ist zwar klar, dass Sie meinen Beitrag sowieso nicht lesen werden, aber das will ja gerade erreichen”. Damit weißt du mit Sicherheit, dass er liest, was du schreibst.

Geh mit Buttons aller sechs Parteien gleichzeitig auf deiner Jacke durch die U-Bahn. Jedesmal, wenn der Lautsprecher die neue Station ansagt, ruf hinterher: “Wahlkampf? Macht kaputt, was euch kaputt macht”. Wenn die Polizei kommt und dich nach deinem Perso fragt, lenk sie ab: “Legal? Illegal? Scheißegal!” Wenn die Polizisten dich bei der nächsten Station rauszerren, schenk allen draußen auf dem U-Bahnsteig jeweils sechs Partei-Buttons. Sei nicht sauer, wenn sie keinen Spass verstehen. Wahlkampf ist risk, no fun.

Mach am 23. September Briefwahl. Mach kein Kreuz sondern schreib das ganze Grundgesetz auf deinen Wahlzettel (bestell einen neuen, wenn der erste voll geschrieben ist). Verreise dann am Sonntag in ein Land, dessen Sprache du nicht verstehst. Stell um 18.00 das Radio auf deinem smartphone an und hör die Auslandsnachrichten in der fremden Sprache. Wenn du denkst, es klingt wie eine Fußballreportage, schalte den Sender wieder aus. Du hast nichts versäumt. Fahr am Montag wieder nach Deutschland. Überprüfe ob sich bei den Gesichtern auf den Wahlplakaten was verändert hat. Wenn ja, entspanne dich. Sei stolz, Bürger unseres Landes zu sein. Du hast bei der Wahl alles richtig gemacht. 

 

 

 

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