Kopftuchdebatte

Was ziehst du heute an?

15.04.2017 - Dr. Sarfraz M. Baloch

Die Frau als Gesprächsthema beschäftigt uns sehr. Sie soll es auch. Die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist eine wesentliche neben vielen anderen Facetten der Diskriminierung, gegen die die Menschen zu kämpfen haben. Seit den Anfängen der Menschheit wird die Frau diskriminiert. In letzter Zeit ist sie wieder ein Thema geworden. Dieses Mal jedoch geschickt verpackt unter dem Deckmantel der religiösen und kulturellen Identität, Unterdrückung der Frau, Willenslosigkeit und anderen, für mich oft leeren und nebensächlichen Phrasen. Der Frau wird ihr Frau-Sein quasi dadurch aberkannt, dass sie eben das Kopftuch trägt. Es geht um eine Muslima mit Kopftuch.

Verschiedene Urteile werden gefällt, Gesetze werden erlassen, sinnlose Debatten werden geführt, Kopftuchträgerinnen werden angespuckt, schmücken die Zeitungen und werden gefragt, warum sie ein Kopftuch tragen. Fast alle Antworten auf diese Frage werden zugelassen, die einen eigenen Willen nicht in den Vordergrund stellen. Mit anderen Worten: Eine Kopftuchträgerin lügt, wenn sie behaupte, sie tut es aus eigenem Willen.

Mal angenommen, sie tut es nicht aus eigenem Willen, sondern wurde von ihrem Ehemann dazu gezwungen. Dann ist sie sicherlich unterdrückt. Wir als die großen Verfechter der Frauenfreiheit helfen ihr in diesem Fall dadurch, dass wir ein Gesetz erlassen, das ihr verbietet, in der Schule, im öffentlichen Dienst, in Unternehmen, in angesehenen Jobs, im Kundenzentrum das Kopftuch zu tragen. Und dann lehnen wir uns entspannt zurück und hoffen, dass diese unterdrückte Frau, die trotz dieser enormen Unterdrückung durch den barbarischen Ehemann den Schritt zum Scheidungsgericht nicht wagt, nun diesem Ehemann das neu erlassene Gesetz vor die Nase halten wird, um endlich das Kopftuch in der Schule, im öffentlichen Dienst, in Unternehmen, in angesehenen Jobs und im Kundenzentrum abzulegen. Der vermeintlich böse Ehemann wird diese Frau eher von solchen Stätten fernhalten. Somit haben wir etwas für unsere Wahrnehmung getan und diese unterdrückte Frau per Gesetz weiter in die Unterdrückung versetzt. Ich frage mich nur, ob das bewusst so getan wird?

Ist es so schwer, einer Frau das Recht auf ihre Bekleidung zu gewähren? Ist es unvorstellbar, eine Frau als eine Frau zu behandeln, wenn sie ein Kopftuch trägt und evtl. kein Deutsch spricht? Wird denn die Mutter eines „integrierten“ Arztes, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist und ein Kopftuch trägt, als nicht integriert betrachtet, obwohl sie 9 Kinder großzog, unter denen sich auch „fremde“ Waisenkinder befanden? Muss sie nun ihr Kopftuch ablegen, weil manche schrägen Denker dadurch die Wertegemeinschaft der sog. freien Gesellschaft in Gefahr sehen? Muss ihre Medizin studierende Tochterspäter ihr Kopftuch ablegen, weil sie womöglich deswegen von vielen Chefärzten bei ihrer Bewerbung allgemein formulierte Absagen erhalten wird?

Die Kopftuchträgerinnen haben es durch fehlende Chancengleichheit sowieso schwieriger und werden beliebig auf eine nicht nachvollziehbare Art diskriminiert. Eine im Spiegel veröffentlichte Studie zeigte dies. Je mehr wir über das Kopftuch debattieren und die Pros und Contras sammeln, desto mehr vernachlässigen wir die Frau dabei. Offenbar möchten wir ihre Geschichte nicht hören. Wir erkennen ihren Stolz nicht an und verneinen ihren eigenen Willen.

Mir tun alle leid, die der Auffassung sind, sie müssten den Frauen vorschreiben, was sie anzuziehen haben und was nicht. Sogar meine 7-jährige Tochter weiß ganz genau, was sie anziehen möchte und keiner darf hier mitbestimmen. In welcher Welt leben diese Meinungsmacher die meinen, den selbstbewussten Damen der neuen Generation vorschreiben zu müssen, wo sie was zu tragen haben? Eine Christin, eine Atheistin, eine Jüdin und eine Muslima haben eins auf alle Fälle gemeinsam: Sie sehen sich alle als eine Frau. Und ob sie mit oder ohne Kopftuch diskriminiert werden, es bleibt die älteste Sorte der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Und damit sollten wir in Deutschland am besten heute schon aufhören.

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