Europa

Wenn Draghi mit dem Gelddrucken beginnt...

01.01.2015 - Nicolas Wolf

Der 22. Januar 2015 könnte als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) in den Augen ihrer Kritiker den ultimativen Tabubruch beging. In Anbetracht der weiterhin besorgniserregenden Wirtschaftsdaten aus der Eurozone sind die Erwartungen an die europäischen Notenbanker in Frankfurt hoch durch weiteren monetären Stimulus der ökonomischen Malaise entgegenzuwirken.

Dabei hat die EZB seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 bereits eine sehr lockere Geldpolitik betrieben, den Leitzins mehrmalig auf nun praktisch null Prozent gesenkt und Banken mit Liquidität überschüttet. Doch trotz einiger kleiner Hoffnungsschimmer ist gerade in den Peripherieländern der Eurozone die wirtschaftliche Lage nach wie vor desaströs und die Wahrscheinlichkeit dementsprechend hoch, dass die EZB unter der Leitung von Mario Draghi sich nun entschließt zum vermeintlich letzten und aggressivsten Mittel der Geldpolitik zu greifen: dem „Quantitative Easing“ (deutsch: „Quantitative Lockerung“). Der Begriff beschreibt nichts anderes als den massiven Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbank. Da sie dies direkt an den Finanzmärkten tut und die Wertpapiere Nicht-Banken abkauft, pumpt sie somit Unsummen an Geld in den Wirtschaftskreislauf, Anleihen- und Aktienpreise steigen als Konsequenz. Dies wiederum senkt die Refinanzierungskosten für Unternehmen, die im Gegenzug ihre Investitionen erhöhen, sodass die Wirtschaft wächst – so zumindest wünscht man sich das als Notenbanker. (Eine hilfreiche Erklärung über die Funktionsweise von Quantitative Easing bietet die „Bank of England“ auf ihrer Homepage.

Da „QE“, wie „Quantitative Easing“ häufig abgekürzt wird, einen massiven Eingriff in die Finanzmärkte darstellt, ist es kaum verwunderlich, dass die Maßnahme heftig umstritten ist. Befürworter sehen es als letztes Mittel der Eurozone wirtschaftlich endlich auf die Sprünge zu helfen und ein Abgleiten in eine langanhaltende Deflation zu verhindern. Manch einem mag dieser Schritt gar als zu spät erscheinen, andere befürchten, dass die EZB zu zaghaft und vorsichtig agieren wird (Diese Ansicht vertritt beispielsweise der Ökonom Barry Eichengreen auf der Website Project Syndicate).

Für Gegner von QE hingegen stellt es den ökonomischen Sündenfall dar. Wirtschaftlich Konservativen gehen die bisherigen Maßnahmen schon bereits viel zu weit und sehen in der lockeren Geldpolitik der EZB  eine gewaltige Aushebelung des freien Marktes. Mit einem großangelegten  Ankauf von Staatsanleihen würde das letzte geldpolitisch Tabu gebrochen.

In dem Leitartikel der Ausgabe vom 15.12. mit dem Titel „Draghis Drama“ schreibt der SPIEGEL, dass die vorgeschlagene „[...] Therapie (also Quantitative Easing) auf einer falschen Diagnose beruht“. Die deflationären Tendenzen seien nicht die Folge einer abwärtsgerichteten Lohn-Preis-Spirale, sondern eher Ausdruck des zuletzt stark gefallenen Ölpreises. Und dies, so die Argumentation, sei ja eher positiv für die konjunkturelle Entwicklung.

In der Tat haben fallende Energiekosten laut Eurostat zu einem 0.3%-Punkte Rückgang der Inflationsrate in der Eurozone geführt, sodass die Teuerung im November bei gerade einmal 0.3% lag. Doch selbst wenn man die dramatisch gesunkenen Rohstoffpreise außen vor lässt, ist die Inflation weit von den magischen 2% entfernt, die die EZB als mit dem  Ziel „Preisstabilität“ noch vereinbar sieht.

Die Eurokrise ist bei Weitem nicht vorbei und ihr Ende nicht in Sicht

Doch es wäre falsch, sich lediglich auf diese eine statistische Größe zu beziehen. Fakt ist, dass die Wirtschaft in der Eurozone noch immer auf der Stelle tritt; die Arbeitslosenquote liegt laut EZB bei über 11% und aufgrund der dramatischen Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern wird bereits davon gesprochen, dass dort eine „verlorene Generation“ heranwächst. Derweil steigt die Staatsverschuldung, sodass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Investoren wieder einzelne Euroländer aufs Korn nehmen und ihre Kreditwürdigkeit und damit den Zusammenhalt in der Eurozone in Frage stellen.

Dies ist spätestens seit dem 29. Dezember in Bezug auf Griechenland wieder der Fall, wo jetzt aufgrund der gescheiterten Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten für den 25. Januar Neuwahlen angesetzt sind, bei denen die oftmals als „linksradikal“ titulierte Syriza-Partei allen Einschätzungen nach die besten Chancen hat sich als stärkste Kraft durchsetzen. Da diese damit wirbt einen Schuldenschnitt zu verhandeln und die vereinbarten Reformprogramme zu stoppen, wird auf einschlägigen Medien- und Wirtschaftsseiten wieder vermehrt über den „Grexit“, also den möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, spekuliert. Die Finanzmärkte reagierten auf ihre Weise: Laut Bloomberg fiel der griechische Aktienindex um vier Prozent, die Rendite 10-jaehriger griechischer Staatsanleihen stieg auf fast 10%.

Davon abgesehen, reagierten die Finanzmärkte gelassen, ein Ansteckungseffekt auf andere Länder blieb aus. Noch spricht man von einem „griechischen Problem“ (siehe Bloomberg-Artikel), jedoch nicht von einer Rückkehr der Eurokrise. Dies wird wahrscheinlich erst dann der Fall sein, wenn ein größeres Euroland ins Wanken gerät oder aber Euro-feindliche Parteien in anderen Ländern zunehmend an Macht gewinnen. Die Welt hat in der Tat richtig angemerkt, dass Frankreich und Italien mit der ausgelobten Reformierung ihrer Volkswirtschaften nicht wirklich vorankommen und in Spanien die „Podemos“-Bewegung das Potenzial hat, für eine unliebsame Überraschung zu sorgen.

Auch wenn die Eurokrise für lange Zeit in den Hintergrund gerückt war, ist sie noch immer akut und alles andere als vorüber, da die grundlegenden, strukturellen und konzeptionellen Probleme der Eurozone nach wie vor existieren und nicht ausreichend, wenn überhaupt, adressiert wurden. Wo ein variabler Wechselkurs sonst wirtschaftliche Ungleichgewichte automatisch korrigiert, existiert in Europa eine Einheitswährung, die für Deutschland zu schwach, jedoch für Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien (und womöglich auch Frankreich) zu stark ist. An dieser grundsätzlichen Feststellung hat sich auch nach fast fünf Jahren Eurokrise nichts geändert.

Quantitative Easing ist kein Allheilmittel  – Die EZB erkauft der Politik nur Zeit

Während die Politik es all die Zeit versäumt hat, glaubhaft an einer neuen Architektur der Eurozone zu arbeiten, hat die EZB ihren Teil getan um ein Auseinanderbrechen des gemeinsamen Währungsraums zu verhindern. Über die dazu unternommen Maßnahmen und deren Effektivität lässt sich streiten, aber ohne Draghis berühmte „Whatever it takes“-Rede im Juli 2012, würde Europa aller Wahrscheinlichkeit nach heute vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen.


Da sich seither die wirtschaftliche Lage nur unwesentlich verbessert hat, ist die EZB nun allerdings gezwungen ihre Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu beweisen. Man kann davon ausgehen, dass ein Ansteckungseffekt auf beispielsweise italienische Anleihen in Folge des jüngsten hellenischen Chaos nur ausblieb, weil Investoren an die Bereitschaft der EZB glauben eine weitere Fragmentierung der Eurozone zu verhindern. Der Beschluss, Anleihen im großen Stil anzukaufen, würde zweifelsohne ein starkes und unmissverständliches Signal an die Finanzmärkte senden und etwaige Spekulationen über ein abruptes Ende der Währungsunion gar nicht erst wieder aufkommen lassen.

 

Damit hier kein Missverständnis entsteht:
Quantitative Easing mag zwar das Ultima Ratio der Geldpolitik sein, jedoch ist es nicht das letzte Mittel um die Eurokrise zu bewältigen. Das „Gelddrucken“ verschafft der Politik lediglich wertvolle Zeit um Lösungen zu entwickeln, die an den Konstruktionsfehlern der Eurozone ansetzen.  

All dies wird den geldpolitischen Falken in Deutschland nicht schmecken, doch angesichts einer Inflationsrate von 0.5% und zuletzt enttäuschenden Wirtschaftsdaten für die Bundesrepublik ist deren Position stark geschwächt. Und wehe der deutschen Exportwirtschaft, wenn Japans ultra-aggressive Geldpolitik die Abwertung des Yens weiter befeuert und damit die Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen erheblich steigert!

Aus deutscher Sicht ist QE für sich genommen ein monetärer Stimulus, eine konjunkturpolitische Maßnahme, sodass mit Blick auf stark gestiegene Immobilienpreise und hohe Aktienbewertungen die Sorge vor finanziellen Blasen groß ist. Ebenso weit verbreitet ist die Angst, dass die quantitative Lockerung die Inflation in unkontrollierte Höhen treiben könnte, was im Augenschein der oben erwähnten Teuerungsraten jedoch keine unmittelbare Gefahr darstellt. Doch bei QE geht es um mehr als eine Belebung der europäischen Wirtschaft: Es geht erneut darum einen Zusammenbruch der Eurozone abzuwenden, nur dass die EZB den Märkten diesmal zuvorkommen will. Und was die Finanzmarktblasen angeht – die haben wir ohnehin schon.

 

 

 

 

 

 

 

Foto: © ECB European Central Bank

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