Buchauszug

Wenn Medien versuchen, Kriege herbeizuschreiben

01.05.2019 - Jürgen Todenhöfer

Unter Lebensgefahr recherchierte Jürgen Todenhöfer zusammen mit seinem Sohn Frederic in den gefährlichsten Krisengebieten der Welt und schrieb das Buch "Die große Heuchelei. Wie Politik und Medien unsere Werte verraten." Sein Fazit: Der Westen muss die Menschenrechte vorleben, statt sie nur vorzuheucheln. Und seine Medien müssen damit aufhören, diese Heuchelei zu decken. Der Westen wird sonst alle Katastrophen der Vergangenheit erneut erleben. Er muss andere Völker und Kulturen so behandeln, wie er selbst behandelt werden will. Nur dann hat er eine Zukunft.

Manche führende Journalisten sind kriegsfreudiger als ihre Regierungen. Auch in Deutschland. Der geistreiche Berthold Kohler, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, begrüßte nicht nur die letzten Kriege des Westens. Er wollte mehr Krieg. Dass Obama seine Militärintervention gegen Syrien im letzten Augenblick absagte, beklagte er heftig. Der Westen müsse mit Geschlossenheit »seine Werte schützen«, (…) gegebenenfalls auch mit eigenen Truppen in Syrien.« Ohne Opfer werde dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein. Dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak bescheinigte Kohler großzügig »Legitimität«. Schließlich habe es eine »sichtbare Zustimmung zum Einmarsch der Koalition« gegeben.

Josef Joffe, bellizistischer Herausgeber der ZEIT, befürwortete den Afghanistankrieg als »Verteidigungskrieg«, der »so lang dauern [werde], bis das Terrornetzwerk zerstört worden ist«. Inzwischen ist die Zahl der Terroristen im Mittleren Osten durch die »Antiterror-Kriege« explodiert. Einen Josef Joffe hält das nicht auf. Den Libyenkrieg der NATO nannte er einen »Glücksfall«. Auch gegen Syrien hätte er wohl gerne eine westliche Militärintervention gesehen: Die Syrer »hätten die militärische Hilfe des Westens noch mehr verdient als die Libyer«. Leider komme sie nicht, weil das Reale stärker sei als das Ideale. Europa müsse keinen Massenansturm syrischer Flüchtlinge fürchten, schrieb er 2011. Na dann…

2013 textete Joffe: »Wer die Assad-Diktatur fällen oder doch lähmen will, zerschlage Stromversorgung, Kommunikationsanlagen, Fabriken und Brücken à la Serbien; noch besser: Raffinerien, Benzinlager, Flugplätze und Häfen. Und nimmt, Präzisionswaffen hin oder her, Abertausende von Ziviltoten in Kauf (…). Im Kriegshandwerk gilt der ›Trugschluss vom letzten Zug‹: Wenn die eine Seite in der Erwartung zuschlägt, dass die andere danach die Waffen streckt. Dann müsste der Schlag ein nahezu tödlicher sein. Sonst wird der ›kurze‹ Krieg zum endlosen, den der Westen um jeden Preis vermeiden will.« Doch Assad ist noch immer da. Trotz weit über 100 000 vom Westen und seinen Verbündeten bewaffneten Rebellen und Terroristen. »Zerschlagen« wurde mit der kriminellen Chaos-Strategie des Westens nicht das Regime, sondern das Volk, das Land.

Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung, argumentierte ähnlich kriegerisch. Die Ablehnung des Irakkriegs durch die deutsche Bundesregierung im Jahr 2002 nannte er »töricht« und »falsch«. Deutschland opfere »die NATO (…) auf dem Altar neudeutscher Außenpolitik (…). Willkommen in der Isolation!
(…) Der Preis für die Entscheidung wird gewaltig sein«. Die Bomben gegen Gaddafi nannte er »mutig«, die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die »größte[] außenpolitische[] Fehlentscheidung« der Bundesregierung. Dafür zahle »Deutschland einen hohen Preis«, sagte er seinen Lesern voraus. Heute erregen sich die drei Spitzenjournalisten über den explodierenden Terrorismus im Mittleren Osten. Auf die Idee, dass sie selbst geistige Mitverursacher des Chaos sein könnten, das wie ein Bumerang auf uns zurückschlägt, kommen sie nicht. Ganz im Gegenteil! Kohler und Joffe verspotten Gegner des Krieges als »Geier der islamistischen Propaganda« und »Vulgärpazifisten« Kohler, Joffe und Kornelius kommentieren nicht wesentlich anders als ihre berühmten Kollegen von der New York Times oder der Washington Post. Die Leitmedien der westlichen Welt haben so manchen Krieg mit herbeigeschrieben. Nicht erst in den letzten Jahren. Über die Kriegslust amerikanischer Medien gibt es ganze Bücher.

In der warmen Stube sitzen und Kriegslieder singen

Einige führende Journalisten scheinen sich geradezu danach zu sehnen, dass sich nach ihren Kommentaren ganze Armeen in Bewegung setzen. Die Bomben fliegen ja nicht ihnen um die Ohren, sondern anderen. Dort, wo es kracht und weh tut, wird man sie selten finden. Sie sehen im Krieg ein Zeichen von Männlichkeit. Sich
selbst setzen sie diesem Männlichkeitstest sicherheitshalber nicht aus. Goethe verachtete Leute, die in der warmen Stube sitzen und Kriegslieder singen. Ich lade jeden dieser drei Spitzenjournalisten – Kohler, Joffe, und Kornelius – ein, mit mir eine Woche in einem Kriegsgebiet zu verbringen. Und anschließend ein Kriegskrankenhaus zu besuchen. In den Kampfgebieten Afghanistans, Libyens, des Jemen oder Somalias. Nicht als »embedded journalist«. Sondern ohne Bodyguards und ohne schusssichere Weste. Die Menschen, die der Westen bombardiert, haben auch keine schusssicheren Westen. Wetten, dass keiner mitkommt? Kriegslieder singen ist einfacher, wenn man in der warmen Stube bleibt. »Das eiserne Dreieck« Kohler, Joffe, Kornelius kann nicht für die Mehrheit der deutschen Journalisten sprechen. Nach meiner Erfahrung steht die Mehrheit deutscher Journalisten auf der Seite des Friedens. Aber Kohler, Joffe und Kornelius repräsentieren mächtige Leitmedien, Meinungsführer in Deutschland. Sie sind publizistische Bündnispartner des Weltherrschaftsprojekts der USA. Bündnispartner im Kampf gegen Heuchelei werden sie nie sein.

Die Mächtigen der Medien zieht es zu den Mächtigen der Macht

Die Nähe westlicher Spitzenjournalisten zu den Spitzen westlicher Politik ist vielfach untersucht worden. Das Hauptproblem liegt nicht in ihrer Beteiligung an bestimmten transatlantischen Konferenzen. Sondern darin, dass sich manche Journalisten in der Nähe der Mächtigen zu wohlfühlen. Dass sie sich vom Ambiente der
Macht berauschen lassen. Dass sie dabei ihre Wächterrolle vergessen, ihre innere Distanz aufgeben. Dass sie zu Höflingen werden. Ich habe jahrelang nah miterlebt, wie ehrfurchtsvoll führende Medienvertreter den Kanzlern Brandt, Kohl, Schröder oder Merkel hinterhertrotteten. Wie sehr sie die persönliche Nähe genossen, die sie vor ihren Kollegen auszeichnete. Nach einem längeren Vier-Augen-Gespräch mit einem der Mächtigen tauchte in ihren Artikeln oft lange kein kritisches Wort mehr über diesen auf. Und wenn ihnen doch einmal eines herausrutschte, ruderten sie monatelang zurück. Richter müssen sich bei einer solchen Nähe für »befangen« erklären. Aus dem Rechtsstreit ausscheiden. Fußball-Schiedsrichter oder Punktrichter im Eiskunstlauf auch. Eigentlich ist das selbstverständlich. Und doch hält sich kaum jemand an diese Grundregel objektiven und gewissenhaften Journalismus. Je befangener manche sind, desto unbefangener schreiben sie.

Bildergebnis für die große heuchelei

Jürgen Todenhöfer: Die große Heuchelei. Wie Politik und Medien unsere Werte verraten. Propyläen Verlag, 352 Seiten, ISBN-13 9783549100035, Erschienen: 15.03.2019, 19,99 Euro.

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