Liebesbriefe

Wenn sich das Herz ausschreibt...

15.12.2014 - Dr. Christoph Quarch

Liebesbriefe schreiben ist aus der Mode gekommen. Das ist schade, denn geschriebene Liebesbekundungen haben zu allen Zeiten Schreibern und Empfängern gut getan – ein Grund, auch mal wieder zu Papier und Füllfederhalter zu greifen.

Wann haben Sie zuletzt einen Liebesbrief geschrieben? So einen richtigen, auf Papier, mit Füllfederhalter – einen, bei dem Sie in Tinte ihr Herz ausgegossen und dann pochenden Herzens die gefalteten Bögen ins Couvert gesteckt haben? Ist lange her, oder? Denn heute werden ja kaum noch Liebesbriefe geschrieben. Und wenn doch, dann digital als E-Mail, mit einem vorgefertigten Text womöglich, dem man unter erdbeerlounge.de im Internet runterladen kann; oder vielleicht auch verfasst von einer eigens darauf spezialisierten Agentur, bei der Sie gegen Entgelt den Brief Ihrer Wahl in Auftrag geben können.

Irgendwie ist es schade, dass infolge von SMS, Twitter, WhatsApp & Co ein ganzer Kulturzweig weggebrochen ist. Liebesbriefe waren über Jahrhunderte ein besonders Genre der Literatur, und wenn man sich die einschlägigen Sammlungen bedeutender Exempel dieser Kunstform anschaut, kann man sich nur verdutzt die Augen reiben ob der literarischen Qualität, zu der sich so manch liebendes Herz in früherer Zeit aufzuschwingen vermochte. Denn es waren mitnichten allein die prominenten Autorinnen und Autoren, die ihre Gefühle kunstvoll zur Sprache zu bringen vermochten; auch einfache oder weniger gebildete Menschen konnten zu wahren Poeten mutieren, wenn nur die Liebe ihnen die Feder führte.

Dem Herzen Luft machen

Liebesbriefe können dem Empfänger Trost spenden und stärken, Sie können ihn beglücken und begeistern. Aber nicht minder wohltuend ist ihre Wirkung auf den Schreiber oder die Schreiberin. Denn das geduldige Papier erlaubt ihnen, ihrem geschundenen oder übervollen Herzen Luft zu verschaffen. Auch davon weiß Susette Gontard und schlägt ihrem Liebsten vor, „dass wir immer füreinander – wenn wir eine glücklich fühlende Minute hätten - an einander schreiben wollten, und allerhand erzählen was uns so einfiele, aus dem Herzen sprechen und uns Luft machen, wenn die Brust zuweilen so voll und gepresst ist. So wollen wir es jetzt machen.“

Und so taten sie es – ganz so, wie viele andere Liebesbriefe-Schreiber auch. Ihre beschriebenen Bögen waren tragfähige Brücken, die über räumliche und zeitliche Distanz hinweg die Glut der liebenden Herzen befeuerte. Ja, es gab Leidenschaften, die überhaupt erst durch geschriebene Worte entflammt wurden. Eindrucksvoll handelt davon die Geschichte des Cyrano von Bergerac, dessen – fatalerweise allerdings im Namen eines anderen verfassten - Zeilen die schöne Roxanne in einen gewaltigen Liebesrausch versetzten: ein eindrucksvolles literarisches Zeugnis für das erotische Potenzial, dass zu allen Zeiten dem geschriebenen Wort innewohnte.

Ein abenteuerliches Experiment

Liebesbriefe trösten, heilen, inspiriere, entflammen, begeistern - So gesehen gibt es mehr als nur einen guten Grund, neuerlich eine Lanze für den Liebesbrief zu brechen. Nicht aus nostalgischer Schwärmerei, sondern aus der schlichten Einsicht heraus, dass es gut tut, Liebesbriefe zu schreiben oder auch zu empfangen. Deshalb: Wie wär’s, wenn Sie am nächsten Wochenende mal wieder ein leeres weißes Blatt herauskramen, sich eine ruhige Ecke suchen und das abenteuerliche Experiment unternehmen, einen Liebesbrief zu schreiben. An wen? – Vollkommen egal: Schreiben Sie an Ihren Partner oder Ihre Partnerin, schreiben Sie an Ihre Lieblingslandschaft oder Ihre Lieblingsmusik. Oder – schreiben Sie an sich selbst. Da haben Sie sogar den Vorteil, gleichzeitig Autor und Empfänger zu sein. Und vielleicht die wundersame Erfahrung zu machen, die alle Liebesbriefe-Schreiber kennen: Beim Schreiben Worte zu entdecken, auf die Sie sonst nie gekommen wären – schöne Worte, die oft viel wahrer und ehrlicher sind als die Geschichte, die Sie sonst immer von sich erzählen.

 

Weitere Infos zum Autor: www.christophquarch.de

 

 

Christoph Quarch: "Das große Ja: Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens"

Goldmann Verlag, 2014, 256 Seiten

ISBN: 978-3442220908

 

 

 

 

Foto: © Pimthida

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