Völkerrecht

Wissen diese Leute, was sie tun?

15.04.2018 - Dr. Christoph Quarch

Was man heute gemeinhin als „Regierende“ nennt, sollte man besser „Diener der Gesetze“ nennen, nicht um der Neuschöpfung von Worten willen, sondern weil ich glaube, dass von mehr als allem anderen davon sowohl das Wohl eines Gemeinwesens abhängt als auch sein Gegenteil. Denn einem Gemeinwesen, in dem das Recht geknechtet wird und machtlos ist, sehe ich den Untergang bevorstehen. Einem Gemeinwesen aber, worin das Recht der Gebieter über die Regierenden ist und die Regierenden Diener des Gesetzes sind, prophezeie ich nicht nur Wohlergehen, sondern auch all das Gute, was die Götter je einem Gemeinwesen gewährt haben. (Platon, Gesetze 715c-d)

Was in Syrien geschieht, ist schlimm. Menschen sind auf grausame Weise ums Leben gekommen. Der Einsatz von Giftgas ist verabscheuenswürdig und durch nichts zu rechtfertigen. Doch niemand wird sie wieder zum Leben erwecken, indem noch mehr Bomben fallen und noch mehr Raketen fliegen – mögen sie auch noch so „smart“ und „beautiful“ daherkommen. Schlimmer noch ist deshalb, was in diesen Tagen in der internationalen Politik geschieht: das Knechten des Rechts von allen Seiten – das Aushebeln, Ignorieren, Verspotten eines Völkerrechtes, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft nach den katastrophalen Kriegen des 20. Jahrhunderts mühsam und mehr schlecht als recht verständigt hatte. Wenn aber erst das Recht allseits missachtet wird, dann ist – wie schon vor hunderten von Jahren Platon sah – der Untergang der Staaten nahe.

Nicht nur der Einsatz von Chemiewaffen verstößt gegen das Recht, das sich die Menschheit gab. Ein willkürlicher Militärschlag gegen einen souveränen Staat ohne völkerrechtliches Mandat verstößt nicht minder dagegen. Gegen jedes Rechtsverständnis verstoßen auch Vorverurteilung und Selbstjustiz – Vorgehensweisen, die nicht nur in der Kachelmann-Affäre und dem Fall Skripal Schule machen, sondern nun auch beim Militärschlag gegen Syrien scheinbar bedenkenlos als legitim verkauft werden sollen. Was soll man von „Regierenden“ halten, die, wo es ihnen passt, das Völkerrecht für sich in Anspruch nehmen, und die es immer dann missachten, wenn es ihren eigenen Interessen im Wege steht. Das Schlimme daran ist, dass dies für alle Seiten gilt: Es gilt für Assad genauso wie für Putin, es gilt für Erdogan genauso wie für Trump. Und leider gilt es auch für May, Macron und Merkel.

Wissen diese Leute, was sie tun? Ahnen sie, wohin es führt, wenn sie nicht nur das Recht nach eigenem Gutdünken verletzen, sondern – was noch schwerer wiegt – dem Geiste der Gesetze spotten: jenem Geist, der es verbietet, Strafen zu verhängen, ohne dass bewiesen wäre, ob Verdächtigte auch wirklich Täter sind; ohne das Recht zu bemühen, nach Maßgabe des eigenen Urteils Gewalt mit Gewalt zu vergelten; ohne unabhängige Instanzen zu bemühen, frei nach Lust und Laune die Sanktionen zu verhängen, die man glaubt – ohne selbst Schaden dabei zu nehmen – aufgrund seiner militärischen Stärke verhängen zu dürfen.

Es kann einem Gemeinwesen eben so wenig wie der Weltgemeinschaft im Ganzen gut bekommen, so unverblümt am Ast zu sägen, auf dem wir alle sitzen: an dem Ast der Rechtsstaatlichkeit und der internationalen Absprachen. Mehr denn je brauchten wir in einer mannigfaltig bedrohten Welt den Geist des Rechts anstelle jenes Säbelrasselns über Twitter, dessen Geistlosigkeit zum Himmel schreit. Wie anders könnte eine irgendwie verträgliche Lösung für Syrien und den ganzen Nahen Osten aussehen als in Gestalt von rechtlich bindenden Verträgen oder Abkommen? Wie aber will man dazu kommen, wenn man fortwährend bekundet, dass einem das Recht und all seine Verbindlichkeiten geradewegs am Allerwertesten vorbeigehen? Wie will man Konflikte lösen, wenn man systematisch jede Basis des Vertrauens bombardiert?

Wer jedoch könnte die Welt ans Recht erinnern und die Würde der Gesetze einfordern? Wie die Dinge heute stehen, scheint nur ein Land auf Erden dazu in der Lage und dazu berufen. Und das ist ausgerechnet Deutschland. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte, unseres internationalen Ansehens und unseres wirtschaftlichen Einflusses, stünde es denen, die bei uns „Regierung“ heißen, gut zu Gesichte, nicht bloß rhetorisch, sondern entschieden zur Deeskalation aufzurufen. Dass so etwas möglich ist, hat vor nicht langer Zeit eine Bundesregierung bewiesen, als sie sich den militärischen Interventionen im Irak widersetzte. Heute wäre es nicht schwer, das Gewicht unseres Landes in die Waagschale dafür zu werfen, dass endlich das geschieht, was schon seit Jahren überfällig ist: dass sich alle Kriegsparteien in Syrien mit Assad an einen Tisch setzen und eine Lösung aushandeln.

Mag sein, dass es ein Traum ist – aber träumen wird man ihn wohl dürfen: den Traum, dass unser Land sich in die Rolle fügt, die ihm am besten zu Gesichte stünde: dem Internationalen Recht ein treuer Diener sein.

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