Eine Frage des MILIEUs

"Wollen nur traumatisierte Menschen Krieg?"

01.03.2019 - Dr. Franz Ruppert

Zur Definition eines Psychotraumas gehört das Erleben von Ausgeliefertsein, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wir Menschen werden zu Trauma-Opfern durch Situationen wie

- Abtreibungsversuch in der Gebärmutter

- Kaiserschnitt-, Zangen-, Saugglockengeburt

- Sofortige Trennung von der Mutter nach der Geburt

- Frühe Fremdbetreuung z.B. in Kinderkrippen

- Lieblosigkeit der Mutter und des Vaters

- Körperliche und verbale Gewaltattacken in der Kindheit

- Sexuelle Grenzüberschreitungen

- Gewalterfahrungen in der Jugend und im Erwachsenenalter

- Traumatisierende medizinische oder psychiatrische Behandlungen.

Diese emotional nicht bewältigbaren Lebenserfahrungen werden durch den Notfallmechanismus der menschlichen Psyche aus dem Bewusstsein verbannt. Es entstehen in einem traumatisierten Menschen dann drei unterschiedliche psychische Strukturen:

- weiterhin gesunde psychische Anteile, welche die Realität, wie sie ist, weiterhin erfassen können,

- traumatisierte innere Anteile, die auf der Altersstufe stehen bleiben als das Trauma geschah,

- und Trauma-Überlebensstrategien, welche sich eine Scheinwelt konstruieren, die mit der realen Welt nun noch wenig zu tun hat.

Die Unfähigkeit, besonders frühe traumatische Lebenserfahrungen psychisch zu bewältigen, hat verschiedene gravierende Folgen für das gesamte Leben eines Menschen:

  Konstantes inneres Bedrohungsgefühl, dass Angst und Aggression erzeugt,

- Projektion des inneren Geschehens ins Außen,

- Unfähigkeit, sich selbst zu begreifen und die eigene Identität zu entwickeln,

- Unfähigkeit zu tieferen Gefühlen, weil das Traumagefühle ins Erleben bringen könnte.

- Reinszenierung der alten Traumasituationen in der aktuellen Ist-Situation.

Vom Trauma-Opfer zum Trauma-Täter

Der Verlust des emotionalen Selbstbezugs durch Traumaerfahrungen und die damit einhergehende Empathielosigkeit den Mitmenschen gegenüber führt bei jedem Trauma-Opfer dazu, dass es auch zum Trauma-Täter wird – sowohl anderen Menschen (Kindern, Partnern, Schülern, Arbeitskollegen …) als auch sich selbst gegenüber. Die eigene Trauma-Täterschaft wirkt sich psychisch verheerend aus und erzeugt wiederum die Notwendigkeit, unerträgliche Gefühle von Schuld und Scham abzuspalten. So werden aus ursprünglich emotionalen Wesen immer mehr nur noch Kopfmenschen, die sich ausschließlich in abstrakten Gedankenkonstrukten bewegen. Wer nicht fühlt, ist auch zu jeder Untat fähig. Er übernimmt keinerlei persönliche Verantwortung mehr für das, was er tut.

Krieg ist Trauma und Trauma ist Krieg

Kriege sind der Versuch, massenhaft andere Menschen in eine Situation der Ohnmacht, Hilflosigkeit und des völligen Ausgeliefertseins zu bringen. Einerseits die „feindlichen“ Truppen, andererseits die gesamte Zivilbevölkerung eines „feindlichen“ Staates. Der Zweck des Krieges ist also die Traumatisierung von Menschen. Was dann auch geschieht: Wer einen Krieg überlebt, ist traumatisiert – ob als Soldat oder als ziviles Kanonenfutter.

Kriege tragen daher dazu bei, dass die traumatisierten Menschen ihre Trauma-Erfahrungen abspalten müssen und sich innerlich unter Druck fühlen, neue Kriege anzuzetteln. Es entsteht der verrückte Kreislauf: Trauma wird mit Trauma zu bekämpfen versucht, wodurch immer noch mehr Menschen in diesen Trauma-Abgrund hineingezogen werden.

Die Biografien von Kriegstreibern (z.B. von Adolf Hitler) belegen den Zusammenhang zwischen frühen Kindheitstraumata und der Unfähigkeit, sich selbst zu erkennen und stattdessen sich selbst Feindbilder schaffen zu müssen.

Statt äußere Feinde zu erfinden, mit sich selbst in Frieden kommen

Wer seine eigene Psychotrauma-Biografie bearbeitet, wird friedlich. Denn er braucht keine Schuldigen im Außen mehr zu erfinden, die für seinen inneren Terror verantwortlich sind. Er kann innerlich zur Ruhe kommen und sich endlich selbst finden. Wer bei sich ist, muss auch nicht mehr mit anderen konkurrieren oder sich mit etwas identifizieren, was angeblich eine höhere Wichtigkeit hätte, als seine eigenen Bedürfnisse und sein eigenes Wohlergehen. Wer am eigenen inneren Wohlergehen interessiert ist, will auch, dass es anderen gut geht. Er schafft sich um sich herum ein soziales Netzwerk konstruktiver Beziehungen, die auf win-win-Situationen ausgerichtet sind.

 

 

Das aktuelles Buch von Dr. Franz Ruppert: "Wer bin Ich in einer traumatisierten Gesellschaft?", Klett-Cotta Verlag, 2019.

Weitere Informationen unter: www.franz-ruppert.de

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