
Zu viel Business tötet den Fußball
01.05.2017 -Und nun sind alle ganz betroffen und entrüstet. Minister und Politiker gebrauchen Worte wie „abscheulich“ und „entsetzlich“. Sie geißeln Sergej W. und seine Tat: den Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, bei dem zwei Menschen verletzt wurden und sehr viel mehr noch hätten sterben können. Von daher ist die Aufregung begründet und verständlich. Was dieser Mann getan hat, ist mit nichts mehr zu entschuldigen. Und was ihn mutmaßlich dazu bewogen hat, verdient durchaus die Prädikate, die im Umlauf sind: Es ist pervers und abgeschmackt, den Tod von Menschen willentlich in Kauf zu nehmen, nur um mit Hilfe von Finanzprodukten an der Börse abzusahnen.
Doch sollte nun nicht das geschehen, was wahrscheinlich ist Man regt sich auf, man ist entrüstet – und man kehrt zurück zur Tagesordnung. Solches zu tun, hieße verkennen, dass der Anschlag auf Borussia Dortmund mehr war als ein widerwärtiges Verbrechen. Er war und ist zugleich ein Menetekel: ein Wink, der etwas lehrt und zeigt. Er weist auf ein subtileres Vergehen, das fortwährend geschieht und sich in jenem Anschlag auf den BVB-Bus nun zu einem offenkundigen Symptom verdichtet hat: Es kündet von dem Krieg des Homo Oeconomicus (Der wirtschaftende Mensch) gegen den Homo Ludens (Der spielende Mensch). Denn es verrät, dass die Profitgier eines gänzlich ökonomisch formatierten Egoisten um des eigenen Vorteils willen umstandslos in Kauf nimmt, die Welt des Spielens zu zerstören und die Spieler umzubringen.
Was soll das heißen? Zunächst, dass man den Täter Sergej W. als Archetypus deutet: als Ausgeburt von einem Mind-Set, den man bei weitem nicht allein bei ihm antreffen kann: In ihm verdichtet sich der Typus eines rationalen, rechnenden und handelnden Strategen, der sich die Produkte der Finanzwirtschaft zunutze macht, um größtmöglichen Profit zu erwirtschaften – und der sich dabei nicht scheut, anderen nachhaltig zu schaden.
Die Gier des Homo Oeconomicus
Ein solches Verhalten ist alles andere als unüblich. In der Welt der Hedgefonds und Börsianer ist es an der Tagesordnung. Es ist das übliche Gebaren eines Menschen, der den Homo Oeconomicus in sich hat mächtig werden lassen: Er steckt nicht nur in Chefetagen oder Bankentürmen, er steckt genauso in den Hirnen eines jeden Konsumenten, der ständig nach den besten Schnäppchen schielt und gerne mal den Händler austrickst, um seine eigenen Schäfchen fett ins Trockene zu bringen. Sergej W. ist gar nicht so viel anders. Gewiss, die Mittel die er anwendete, sind zweifellos besonders niederträchtig und brutal: die Denkweise dahinter ist jedoch nicht ungewöhnlich: Sie ist die skrupellose Gier des Homo Oeconomicus.
Bemerkenswert ist aber, dass sein Verbrechen einer Fußballmannschaft galt. Auch sie hat eine archetypische Bedeutung: Sie steht für einen völlig anderen Menschentypus – und zwar für eine Art von Mensch, die anders tickt als Homo Oeconomicus. Sie steht für den Homo Ludens – den Menschen des Spiels –, der meist im Kollektiv auftritt, weil spielen immer etwas Kollektives ist. Wer spielt, wer wirklich spielt, verfolgt dabei keine Privatinteressen. Wer spielt, spielt um des Spielens willen; nicht um dabei etwas für sich rauszuholen. Ob das auch für die Profi-Kicker zutrifft, die in dem BVB-Bus saßen, ist hier unerheblich. Als Repräsentanten des Homo Ludens wird an ihnen sichtbar, was der Geist des Wirtschaftens bewirkt, wenn er sich in die Welt der Spieler einschleicht: Er bringt Tod und Verderben. Warum?
Wer spielt ist unberechenbar
Der Homo Oeconomicus will maximalen Profit. Und deshalb will er alles kontrollieren und berechnen, um ja für sich den größten Vorteil rauszuholen. Er lechzt nach Effizienz und Funktionalität. Er schafft sich Algorithmen und Kalküle, um mit größter Sicherheit das Optimum herauszuholen. Und eben das macht ihn –im schlimmsten Sinn des Wortes – zum Todfeind eines jeden Spielers; zumindest dann, wenn es dabei um Spiele geht, die er – anders als Glücksspiele und Online-Spiele – nicht manipulieren kann. Die meisten Spiele – auch das Fußballspiel – sind aber solche unberechenbaren Spiele. Sie liebt der Homo Ludens, denn aus der Unberechenbarkeit wachsen Reiz und Spannung. Der Homo Ludens liebt die Freiheit zu gewinnen oder zu verlieren. Denn daraus wächst die Größe seines Tuns.
Dem Homo Ludens liegt es fern zu funktionieren oder einen Businessplan zu exekutieren. Sein Wesen erfüllt sich darin, kreativ zu sein und Neues zu erproben. Wenn man ihn seinen Plänen und Kalkülen zuverlässig unterwerfen will, dann bleibt nichts anderes als ihn auszuschalten. Und eben das versuchte Homo Oeconomicus beim Attentat von Dortmund.
Der Doppelschlag
Doch das war nur der erste Akt des Dramas. Der zweite folgte umgehend. Denn der Anschlag auf den BVB war eigentlich ein Doppelschlag gegen den Homo Ludens: Erst die Bombe, dann das Spiel – das falsche Spiel, zu dem die Spieler von Funktionären oder Managern verleitet wurden. Man ahnt schon, wessen Geistes Kind dies war: „Show must go on“, so hieß die trügerische Formel. Die Wahrheit hätte lauten müssen: „Business must go on“.
Der Plan des Sergej W. wurde getreulich umgesetzt: Die traumatisierten Kicker mussten antreten und schieden aus. Wie sollte es auch anders sein? Sie sollten ja im Match gegen Monaco nur noch funktionieren. Wer funktionieren soll, kann aber eines nicht: Er kann nicht spielen. Und wer nicht spielt, kann nur verlieren. Der Homo Ludens wurde so ein zweites Mal geschändet: Er wurde ausgenutzt, damit der Schotter weiterfließen konnte. Und spätestens, als dann das Spiel vorbei und die Dortmunder geschlagen waren, konnte jeder sehen, was der ganze Vorfall lehrt: Das Spiel ist aus.
Zuviel Geschäft zerstört das Spiel
Die Spieler der Borussia haben überlebt. Gott sei Dank. Doch der Homo Ludens in ihnen, wurde zweifach verletzt. Und mit ihm auch das Fußballspiel als solches: das schöne Fußballspiel, das wir so lieben. Zu viel Ökonomie tut ihm nicht gut. Zuviel Geschäft zerstört den Geist des Spiels – und irgendwann die Leiber der Spieler. Hier gibt es einiges zu lernen und auch einiges zu tun: Es ist nicht gut, wenn Fußballmannschaften nicht mehr primär eine Spielgemeinschaft sind, sondern das Kapital von Aktiengesellschaften. Es ist nicht gut, wenn das menschlich Gebotene – nämlich die Schonung der gerade einer ernsten Todesgefahr entgangenen Menschen – hinter dem ökonomischen Zielen zurückstehen muss. Es ist nicht gut, wenn in der Fußballwelt so viel Geld im Umlauf ist, dass sie zu kriminellen Akten motiviert.
Hier muss gehandelt werden. Die Ökonomisierung des Fußballspiels muss nicht nur gestoppt werden, nein: Sie muss zurückgefahren werden. Und zwar aus einem einfachen Grund: Weil sonst Spiel zerstört und die Spieler missbraucht werden. Schluss mit dem „immer mehr“ von FIFA und UEFA! Schluss mit der Ausweitung der Weltmeisterschaft! Schluss mit skrupellosen Ausbeutung des Spiels. Das Maß ist voll! Wir brauchen klare Regeln, die auch den vielen gut getarnten Gesinnungsgenossen des Sergej W. in den Büroräumen der Vereine, Verbände, Lizenzkanzleien usw. das Handwerk legen. Der Homo Ludens darf nicht sterben.
