Rezension

Now Comes Good Sailing. Writers Reflect on Henry David Thoreau

01.02.2022 - Dr. Burkhard Luber

“The best communion men have is in silence”

– Henry David Thoreau

Henry Thoreau war schon einmal präsent in einer Rezension dieser Zeitschrift: In Tagebuch 1 - DAS MILIEU wurde der erste Band seiner Tagebücher vorgestellt. Nach dem damaligen Blick auf Texte des Autors selber folgt nun im Milieu die Besprechung eines Buches der Princeton University Press mit Reflexionen von Gegenwarts-Autoren über Thoreau. Unter dem Titel “Now Comes Good Sailing”, laut Herausgeber der letzte Satz in Thoreaus Leben, versammelt Andrew Blauner eine eindrucksvolle Anthologie von 27 AutorInnen rund um das Leben und die Gedankenwelt von Thoreau. Wie die übergreifenden Kapitel dieser Essay-Sammlung zeigen, ist der Kosmos des Buches weitgespannt:

•   Nahe und ferne Exkursionen
(Betrachtungen zu Thoreau unter Aspekten von Reisen)

•   Engagiertes Leben
(Was engagiertes Leben heute bedeuten kann)

•   Die Themen seiner Träume
(Thoreaus Interessen und Leidenschaften)

•   Praktische Dinge
(Leben, Arbeiten, Wohnen, Kleidung und Schreiben)

•   Walden erleben
(über die zentrale Lokalität in Thoreaus Leben)

Diese Unterteilung des Buches erleichtert der/dem LeserIn das Zurechtfinden in der immensen Materialfülle, die manchmal sehr inspirierend ist, manchmal aber in ihrem Detaillismus auch ermüdend. Die Aufmerksamkeit wird aber durch sehr abwechslungsreiche Themen der einzelnen Texte wach gehalten und gedankliche Reflexionen wechseln mit story telling ab. Wir begeben uns mit Thoreau auf seine ausgedehnten Schlittschuhläufe, die er winters jeden Tag mit Engagement unternommen hat, aber wir lernen auch die Ernüchterung einer Autorin, die nach dem Bezahlen von immerhin 30 Dollar für nur 90 Minuten Aufenthalt auf der nun museal hergerichteten Walden-Lokalität vor dem Walden-Shop steht, der ihr Drinks und Snacks, Wanderstöcke und sogar Badewindeln anbietet, alles zur großen Enttäuschung der Autorin.

Bei der Passion Thoreaus für Einsamkeit, die er ganz bewusst in Walden suchte, ist es nicht verwunderlich, dass dieses Thema auch in den Texten einen großen Raum einnimmt  gerade im Gegensatz zur heutigen alles beherrschenden online Kultur, die uns die Einsamkeit weitgehend verwehrt. Wie Sherry Turkle in ihrem Beitrag richtig beschreibt: wir reden nicht mehr miteinander, sondern sind immer online, immer verbunden, Tag und Nacht, und wenn sich Langeweile einzustellen droht, lassen wir unsere Browser einfach aufs Geratewohl suchen, egal nach was, eben nach irgendwas... Geschickt stellt Turkle dabei auch den Zusammenhang mit unserer Vereinsamung in der Covid-19 Zeit her. Ähnliches gilt für das bekannte Thema von Entschleunigung, das Thoreau auch damals schon bewusst war. Da wirkt der Satz von Thoreau auf Seite 101 sehr erfrischend, inspirierend und fast schon provokativ:

“I went to the woods because I wished to live deliberately to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.”

Mitunter übertreibt es auch eine Autorin mit ihrer expliziten Hineinnahme von Thoreau in die Gegenwart, so im Essay von Tatiana Schlossberg. Der Alarmismus Greta Thunbergs mag eindrucksvoll gewesen sein, aber ihr ambitiöses “Wir werden Schweden lahmlegen” hat sie offenbar schon längst stillschweigend ad acta gelegt. Und wenn man in den Statistiken liest, dass das Grüne Klientel zur prominente Gruppe der VielfliegerInnen gehört, bekommt der Enthusiasmus Schlossbergs doch einigen Schatten. Jedenfalls hat Fridays for Future den Test ihres Engagements und ihrer Glaubwürdigkeit solange nicht bestanden, solange - gut in den Innenstädten an jenen Demo-Freitagen zu beobachten - die gleichen Protestierenden problemlos nach ihrer Demo zum fast food shop gehen oder sich gerne auch bei nur wenig Regen von Mama´s Taxi chauffieren lassen. Wie gesagt, der pointierte Protest von FFF verdient Respekt, aber die Frage bleibt, wie viel persönliche Verbindlichkeit geht vom Protest und Schulstreik in den eigenen persönlichen Lebensstil über (da wo es dann konkret werden müsste).

Das führt zu einem interessanten generellen Kritikpunkt dieser Essay-Sammlung. Sie suggeriert, als ob Thoreaus Focus nur in “Zurück zur Natur” und “Simplify Your Life” bestanden hätte. So gut wie nirgendwo findet merkwürdigerweise in diesem Buch Thoreaus Plädoyer zum zivilen Ungehorsam seinen angemessenen Raum, der Thoreau sicherlich überaus wichtig war und für den er ja sogar ins Gefängnis ging und für dessen Philosophie er immerhin so denkwürdige Sätze fand wie:

 “I heartily accept the motto, "That government is best which governs least"; and I should like to see it acted up to more rapidly and systematically. Carried out, it finally amounts to this, which also I believe — "That government is best which governs not at all"; and when men are prepared for it, that will be the kind of government which they will have.”

Diese Leerstelle in der Anthologie von Blauner ist umso unverständlicher, weil sich ja eine ganze Reihe namhafter Vertreter von Widerstandsbewegungen gegen den Staat auf Thoreau berufen, z.B. die Brother Berrigan Brothers um nur einmal ein berühmtes Beispiel zu nennen.

Wenn es der Leserin/dem Leser zu mühevoll ist, alle Beiträge des Buches im Sinne eines “Thoreau und... und...” aufzunehmen: Man kann das Buch auch als inspirierendes Thoreau-Lexikon lesen, das man nicht von Anfang bis Ende durcharbeiten muss.

Alles in allem ist es das Verdienst des Verlages und des Herausgebers, die Welt Thoreaus erneut lebendig werden zu lassen und uns seine Gedanken nahezubringen. 160 Jahre nach seinem Tod  verdient die Leistung der 27 AutorInnen großen Respekt, und sowohl Anhänger von Thoreau als auch Leser, die neugierig auf seine Person sind, werden das Buch sicherlich mit Interesse zur Hand nehmen.

 

Now Comes Good Sailing. Writers Reflect on Henry David Thoreau. Hg. von Andrew Blauner. Princeton University Press 2021. 348 Seiten. 23.66,- €

Now Comes Good Sailing | Princeton University Press

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen